Es könnte nun sein, dass auch in der ästhetischen Theorie, die sich anmaßt, höhere von niederer Kultur zu trennen, ein argumentatorischer Irrtum verborgen ist, indem sie ihre Qualitätskriterien dem Wesen der Konsumgesellschaft versucht gegenüberzustellen, und eben dabei doch in Abhängigkeit von dieser die Rezeption selbst in eine reine und eine befleckte teilt. Haltung ist nicht nur eine des Kunstwerks, sie ist auch und im Grunde zuvor eine des Rezipienten. Wer dem reflexhaften Genuss einen Wert zuerkennt, wird nie der Lüge, die im Warencharakter der Dinge liegt, entrinnen. Dies ist im Grunde bekannt, eben daher rührt der Verweis auf Werte, die der alltäglichen Banalität enthoben scheinen: Das Naturerlebnis, das Glas Rotwein, die Stille und Kontemplation. Doch wie eine Kontemplation ohne einen Gegenstand der Beschäftigung sinnlos wird und die Ruhe nur im Gegenteil des Lärms sinnhaft wird, ist der Genuss der Antagonist der Fron. Wer sich ihm bewusst hingibt, ist schuldhaft am Bekenntnis zur alltäglichen Entfremdung.
Geschmack ist dabei in seinem Doppelsinn zugleich die Währung, in der für den Genuss bezahlt wird und der Mechanismus, durch den der Genuss statthat. Die Frage, was schlimmer sei, nämlich einen schlechten Geschmack oder gar keinen Geschmack zu haben, verweist auf den Dünkel der Besitzenden, die die ungleichen Besitzverhältnisse als Referenz anerkennen. Dass der Geschmack eine persönliche Eigenschaft, gar Freiheit sei, ist die Lüge, die dem Besitzlosen für sein Einverständnis aufgetischt wird. Dieser immaterielle Rest des eigentlichen Lebens wird darob umso heftiger verteidigt und noch im schlechten Geschmack als Selbstbehauptung anerkannt. Wer sich aber im guten Geschmack dandyhaft einrichtet, der ist doppelt betrogen: Nicht nur hat er sich die Mitsprache an den Qualitätskriterien nehmen lassen, sondern ihm wird auch faktisch an der Ladenkasse das vielfache in Rechnung gestellt. Eben darum wird dem Genuss des Ursprünglichen solcher Wert zugemessen.
Wo sich die Grenzen zwischen Kunst, Gebrauchskunst, Inszenierung und Werbung, Technik und vermarkteter Natur gewollt verwischen, ist die Rezeption nicht mehr zuverlässig mit dem Rahmen der Veranstaltung gekoppelt. Dem Konsumenten bleibt als letzte Selbstbestimmung die Auswahl zwischen Produkten, deren Breite durch seine privaten Finanzen beschränkt bleiben muss. Für diesen Umstand entschädigt ihn scheinbar die Freiheit, einen persönlichen Geschmack zu haben, denn eine objektive Ermittlung von Qualität würde dem permanenten Vorspiegeln falscher Tatsachen durch die Vermarktung minderwertiger Ware einen Riegel vorschieben. Im Begriff der Geschmackssache wird jedoch der dinghafte Charakter der persönlichen Erfahrung deutlich.
Im Begriff des Genusses hingegen wird der Betrug um die wirkliche Erfahrung der Welt greifbar: Von der Sehnsucht nach der besseren Welt, die den Genuss motiviert, bleibt im Surrogat des klischeehaften Moments nichts mehr übrig. Im zeitlosen Wesen der Ästhetik des Genusses findet Antrieb zur Veränderung keinen Platz. Ihre Kraft erhält dieses Moment von der Denunziation der Veränderung durch das Bild einer bis zur Unkenntlichkeit durch den Menschen deformierten Welt. Der Genuss der Natur ist die entfremdete Wahrnehmung einer Umwelt, die längst vollständig als Ressource verwertet wird. Im Erholungsgebiet findet sich der moderne Mensch im Gehege seiner eigenen artgerechten Haltung ein.
Es mutet fast an, als sei der Bereich der Lebensmittelindustrie nicht aus Versehen jener, in dem die Vortäuschung falscher Inhalte in besonderer Weise gepflegt wird, gehört doch die zweite Bedeutung des Wortes Geschmack als ein Empfinden menschlicher Sinnesorgane unmittelbar zum Essen und Trinken. Wie in der Fabel vom Hasen und dem Igel ist die Industrie immer schon da, wo der Konsument noch hinwill. Wo jene mit dem Geschmacksmusterschutz und der Konsumforschung das Erleben berechenbar macht, sucht dieser noch Erfüllung in seiner persönlichen Wahl.
Wer sich aber an dem Charakter der privaten Freiheit, der dem Geschmack als einer sinnesbezogenen Ausformung persönlicher Meinung zugewiesen wird, stößt und versucht, die Ware wieder dem Urteil objektiver Kriterien zu unterwerfen, wird die diskursive Gewalttätigkeit diesen Einwurfs in der Empörung des Konsumenten wiederfinden. Dieser lässt seinen Geschmack nicht zur Diskussion stellen, denn sonst schmeckt er das, was am Ende bleibt: die schale Enttäuschung des um seine Seele Betrogenen.